Dear Diary von Frigg ================================================================================ Kapitel 1: Dear Diary --------------------- 1793 – Paris Notizbucheintrag 515 von Anthony Crowley Gut, ich werde nicht mit so einem Unsinn wie „Liebes Tagebuch“ anfangen, wie der Engel. Das ist sein Ding und ich weiß immer noch nicht, wozu das gut sein soll alles zu notieren. Ich schreibe jetzt schon so viele Einträge und der Sinn erschließt sich mir nicht. Der Engel sagte, dass es gut wäre, um den Kopf frei zu bekommen, Erinnerungen zu schaffen und sich später an die Zeit zu erinnern. Ja, Zeit ist relativ, wenn man unsterblich ist und Zeit vergeht für uns anders als für die Menschen. Wenn ich schlafe und das über Wochen oder Monate hinweg, dann ist das für mich, als würde ich nur kurz die Augen schließen. Für einen Menschen ist das eine lange Zeit und nicht umsonst dachten sie, es gäbe eine Prinzessin in einem verwunschenen Turm, die hundert Jahre geschlafen hätte. Dabei habe ich mich nur kurz schlafen gelegt, nachdem ich meine Rosenbüsche fertig angebaut hatte und dann musste der Engel kommen und mich wecken. Ich hatte so einen schönen Traum…und seh ich aus wie eine Prinzessin? Menschen und vor allem die Brüder Grimm sind komisch! Wie dem auch sei…Zeit…genau…Zeit ist wirklich relativ. Eben noch war ich in einer eisernen Ritterrüstung und jetzt trage ich einen kleinen Zopf mit locken an den Seiten und bequemen Hemd und Jacke. Vielleicht hat der Engel recht, wenn er sagt, dass ich mir Erinnerungen aufschreiben sollte. Ich habe einige vergessen und bestimmt ist es witzig in ein paar Jahren hier rein zu schauen und zu sehen, was ich gemacht habe oder was passiert ist. Aktuell mag ich die Zeit halbwegs. Sie bringt mich weg vom vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Es war richtig beschissen. Ich glaube, die Menschen werden vernünftiger, aber nicht weniger grausam zueinander. Aus der Hölle habe ich eine Belobigung für außerordentliche Dienste im Job erhalten. Irgendwas mit Paris und jetzt habe ich mir das Chaos angesehen. Das ist fast genauso schlimm wie die spanische Inquisition. Menschen schlachten sich mal wieder gegenseitig ab. Das ist nichts Neues und nichts dämonsiches, was ich mir je ausdenken könnte, käme an das heran, was sich Menschen ausdenken. Ihr Einfallsreichtum für Folter, Verstümmelung und Grausamkeiten kennt keine Grenzen. Ich meine, hat man sich mal die Instrumente der Inquisition angeschaut? Oder das, was sie mit den armen Frauen und Mädchen machen, die sie verbrennen? Lebendig?! Und jetzt schlachten sie einigen Leuten die Köpfe im Akkord ab. Das ist absoluter Wahnsinn im schlechtesten Sinne! Und da sagt noch einer, dass wir Dämonen grausam sind. Die da unten haben keine Ahnung, dass wir eigentlich arbeitslos sind. Wir sollten die Hölle zu machen und uns auf der Erde niederlassen, denn hier schaffen sich die Menschen die Hölle selbst und zeitgleich hätten wir es recht angenehm mit Alkohol und gutem Essen. Aber das vorzuschlagen…ich weiß nicht, ich glaube die anderen würden nicht verstehen, was für ein gutes Leben wir hier führen könnten. Das macht es doch manchmal sehr einsam. Ich kann mit keinem Dämon darüber sprechen. Weder über diese Gedanken, noch über andere Dinge. Einzig der Engel versteht mich. Zumindest denke ich das. Er ist klug und manchmal glaube ich, er kennt mich zu gut, durchschaut mich und kann mir in meine Seele blicken, sofern ich als Dämon noch eine habe. Mit ihm zu trinken und etwas zu Essen ist immer wieder ein Genuss und vertreibt die Einsamkeit. Ich kann nicht leugnen, dass ich ihn mag und gerne in seiner Nähe bin. Er lässt mich lebendig fühlen und meine Haut prickelt in seiner Nähe. Ich weiß nicht, ob es etwas typisch engelhaftes ist, dass ich mich so entspannen kann, wenn er da ist und ich mag es ihn zu beobachten, wenn er etwas isst, wie er dabei die Augen genießerisch schließt und diese Geräusche von sich gibt. Scheinbar haben es ihm Crêpes besonders angetan. Er hatte die verrückte Idee nach Paris zu gehen, während dieser Revolution und welche zu essen, nur weil er Hunger hatte und dann auch noch angezogen, wie ein Aristokrat. Dabei werden denen grade die Köpfe abgeschlagen! Aziraphale musste sich ja in Schwierigkeiten bringen, irgendwie hatte ich es geahnt, als ich ihn nicht in London angetroffen hatte, wo er versucht einen Buchladen zu eröffnen. Es kam mir nur Recht, dass ich die Belobigung für Paris erhalten habe, so hatte ich einen Anlass, um ihm hinterher zu reisen, nachdem ich erfahren hatte, wo er ist. Natürlich hatte er sich in Schwierigkeiten gebracht und saß im Kerker, darauf wartend enthauptet zu werden. Wie unvorsichtig kann man bitte sein? Wollte er mich hier alleine lassen? Der Papierkram für einen neuen Körper ist im Himmel sicher genauso aufwendig, wie bei mir in der Hölle! Ich hätte ihn sicherlich Jahrzehnte nicht mehr gesehen! Es ist nicht so, als würde die Zeit nicht umgehen ohne ihn, das ging sie früher auch, aber…es ist was anderes, wenn wir zusammen sind. Ich meine…alle Welt spricht davon und er riskiert trotzdem alles, nur für seinen Hunger und Crêpes! Ich sollte dringend ein Rezept besorgen und es in London unter die Leute mischen, damit er sich nicht mehr in Gefahr bringt. Manchmal glaube ich, er tut es mit Absicht, nur um gerettet zu werden und ich kann nicht leugnen, dass es mir gefällt, wie er mich mit den blauen Augen ansieht. Heute waren sie so hoffnungsvoll, als ich die Zeit angehalten habe und im Kerker erschienen bin. Wie er meinen Namen ausgesprochen hat, als könnte er nicht glauben, dass ich da bin. Er klang so voller Hoffnung, Unglaube und Zuversicht. Als wäre ich der Held der Stunde! Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Leider sagt er nie Anthony. Dabei habe ich den Vornamen seit über dreihundert Jahren, aber Crowley geht auch. Er hat sich immerhin abgewöhnt Crawley zu sagen. Da musste ich ihn oft genug korrigieren. Vielleicht sagte er eines Tages Anthony zu mir. Vielleicht… Hoffentlich erfährt niemals jemand aus der Hölle, dass ich einen Engel gerettet habe. Den Ärger würde ich mir gerne ersparen, denn Hastur oder Ligur auf den Hals gehetzt zu bekommen, ist wirklich unschön und ich stehe nicht so darauf gefoltert zu werden oder an einem Schreibtisch gebunden zu sein, nur um langweiligen Papierkram abzuarbeiten. Die Hölle weiß genau, womit sie mich foltern kann und Schreibtischarbeit gehört dazu! Vor allem, wenn es solche dummen Dinge sind, wie Aufsätze zu schreiben, wieso wir die Engel hassen sollten. Dabei waren wir einst selbst welche. Wir sind gefallen. Wobei ich eher sagen würde, dass ich gemütlich herunter geschlurft bin. Was mich zur Frage bringt, ob man auch die Treppe wieder aufwärts schlurfen kann. Manchmal glaube ich, dass ich genau das tue. Ich schlurfe nach oben, ohne es zu merken und dann stehe ich genau in der Mitte zusammen mit Aziraphale. Genau zwischen Himmel, Erde und Hölle. Ergibt das Sinn? Engel hassen…ich kann nicht sagen, dass ich ihn hasse oder verabscheue. Zum einen sind wir seit Anbeginn der Zeit hier auf der Erde und er war trotz der Tatsache, dass ich ein Dämon bin, freundlich zu mir. Dafür kann man ihn doch nicht hassen, oder? Und manchmal…habe ich Erinnerungen. Erinnerungen als Engel…und Erinnerungen an andere Engel. Sie sind lückenhaft, unscharf und ich kann kaum die Gesichter erkennen. Doch da ist das Gefühl, dass wir uns auch als Engel gekannt haben. Ich weiß nur nicht mehr, was wir gemacht haben oder ob Aziraphale es wirklich ist oder ein anderer Engel mit weißen Haaren… Ich hasse es, dass ich mich nicht erinnern kann. Oder es ist besser so. Denn es tut weh. Es tut weh sich daran zu erinnern, dass wir wertlos geworden waren und verlassen worden sind. Und da frage ich mich, wieso Aziraphale Zeit mit mir verbringt. Wenn Gott uns verlassen hat und nicht mehr zu uns spricht – und zu sonst niemanden mehr – wieso verbringt er seine Zeit mit mir? Ich könnte ihn in Versuchung führen, ihn zu Fall bringen und auch zu einem gefallenen Engel werden lassen. Theoretisch. Praktisch hätte ich das schon vor einigen Tausend Jahren tun können und habe es nicht getan. Die Hölle würde ihm weder gefallen, noch würde er es schaffen zu überleben. Er hat ein zu gutes Herz dafür. Ein so gutes Herz, in dem er sogar einen Dämon immer wieder verzeiht und mit ihm Zeit verbringt. Ein Herz, in dem ich sogar Platz habe. So ein Wesen kann ich nicht zu Fall bringen. Er sollte dieses reine Herz und den Glauben an das Gute behalten, wenigstens einer von uns beiden, wenn ich schon nicht mehr daran glaube. Das, was mir fehlt an Glauben, gleicht er sofort wieder aus. Aziraphale ist wie ein Gegenpool und ich sage nicht umsonst, dass wir uns gegenseitig ausgleichen. Unsere Vereinbarung funktioniert auch und es ist interessant mit anzusehen, wenn der Engel versucht jemanden in Versuchung zu bringen böses zu tun. Es klappt nicht immer und ich muss heimlich nachhelfen, aber er tut es. Genauso wie ich dafür auch seine guten Taten übernehme. Ich wusste gar nicht, dass ich das kann bis ich es das erste Mal versucht habe. Trotzdem…ich bin nicht nett! Mich macht das nicht zu einem guten Dämon oder zu einem netten Wesen! Gut, im Vergleich zu anderen Dämonen töte ich niemanden oder denke mir große, diabolische Pläne aus. Mein Ruhm basiert eher auf die Taten der Menschen…ich meine…sie haben zwei neue Dämonen selbst erschaffen: Unwissenheit und Not. Zwei sehr grauenhafte Dämonen, die in wie Geister durch die Welt gehen und all jene Beeinflussen, die zumeist in nicht so guten Verhältnissen leben. Da sage doch mal einer, alle haben die gleichen Chancen! Was für ein Käse! Niemand hat die gleichen Chancen. Ein reicher Mann hat mehr Chancen als jemand, der in Armut geboren wurde! Ein Mann hat nur dann die gleichen Chancen wie ein anderer, wenn sie am gleichen Ausgangspunkt anfangen. Dann zeigt sich, wie sie mit der gleichen Situation umgehen und welche Wege sie gehen. So ist das Spiel doch unfair! Ein reicher Mann wird nie wissen, wie es ist in der Gosse zu sein, um Mahlzeiten betteln zu müssen und dafür seine eigenen Prinzipien über Bord zu werfen, um zu überleben. Ein hartes Leben, erfordert manchmal harte Entscheidungen und Dinge zu tun, die man nicht tun möchte. Gleichzeitig wird ein armer Mann nie wissen, welche Last auf den Schultern eines Königs lastet. Gold und Reichtum sehen nur in der Ferne aus wie Freiheit, doch ein König trägt die Last eines Landes und wird immer wieder beeinflusst, er muss Entscheidungen treffen, die genauso hart sind und nicht jeden glücklich machen. So gesehen ist das Leben aus beiden Standpunkten heraus nicht leicht und einfach. Dennoch kann jemand mit mehr Geld mehr Gutes tun, als jemand Armes, der jeden Tag um das Überleben kämpft. Würden die Menschen das begreifen und manchmal weiter blicken, als nur bis zur ihrer Nasenspitze, wäre es nicht zu dieser Schreckensherrschaft in Paris gekommen. Dann gäbe es keine Kinder, die zwischen abgeschlagenen Köpfen und Straßenkämpfen aufwachsen. Als ich nach Paris gekommen bin, war das das Erste, was mir aufgefallen ist und ich habe ein paar Kinder gesehen, die zwischen den Leichen herumschlichen auf der Suche nach wertvollen Sachen, die sie eintauschen können gegen etwas Brot. In einer Gosse sah ich Menschen, die um ein Feuer herumstanden und eine Suppe aßen. Es roch wie Huhn, aber wenn man aus der Hölle kommt, kennt man den Unterschied zwischen Huhn und Menschenfleisch. Verzweifelte Zeiten, erfordern verzweifelte Maßnahmen und Hunger ist ein großer Antrieb, um alle Moral hinter sich zu lassen. Ich muss dringend mit Aziraphale darüber sprechen, dass er ein paar gute Taten wirkt, um etwas Licht in diese finstere Zeit zu bringen und wenn ich ihm verkaufe, dass er so ein paar Seelen vor der ewigen Verdammnis retten kann, ist er sicherlich dabei. Wir haben beide genug Geld und wenn er mir nicht helfen will, dann werde ich es alleine machen. Eine Armenküche zu errichten oder ein Lager für die hilflosen Opfer sollte sich ja finden lassen. Das kann ja nicht so schwer sein! Am besten gehe ich sofort los, ehe die Idee aus meinem Kopf verschwunden ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)